"Aktiengesellschaften wie Dierig oder die Kammgarnspinnerei haben im 19. Jahrhundert ihre Gründungsurkunde nur dann bekommen, wenn sie Wohnungen, Büchereien, Kindergärten, Sterbe- oder Krankenkassen für ihre Mitarbeiter hatten".
Bei der Localbahnfahrt am ersten Mai, die von der Buchhandlung am Obstmarkt und der SPD Augsburg-Lechhausen veranstaltet wurde, hat der Augsburgkenner Edgar Mathe davon erzählt, wie sozial Unternehmen einst einmal sein mussten - lange bevor die Republik sich über die kühnen Thesen Kevin Kühnerts erregte. Sterbeversicherungen waren nötig, weil das industrielle Weben für die Arbeiter lebensgefährlich war. Die Schiffchen mit dem Faden wurden durch das Webfach geschossen. Wenn die daneben gingen, kam es regelmäßig zu schweren Verletzungen oder Tod. Während der dreistündigen Rundfahrt auf den Gleisen der Localbahn ließ sich trefflich über die Geschichte der Arbeiter, der Wasserkraft oder der Eisenbahn in Augsburg diskutieren. Rund 350 Leute waren diesmal der Einladung der SPD Lechhausen und der Buchhandlung am Obstmarkt gefolgt. Ausgehend vom Hauptbahnhof verlief die Fahrt über Bismarckviertel, Textilviertel, am Lech entlang. Über die Wolfzahnau führte die Strecke in den Riedinger Park, wo die große Gruppe die drei Doppelwaggons der Regiobahn verließ, um sich das Senkelbachkraftwerk anzuschauen. Über die Lautsprecheranlage im Zug erzählte Edgar Mathe viel über die Stadtteile, durch die man auf den Gleisen der Localbahn fuhr. "Das Bismarckviertel mit seinen Gründerzeitgebäuden wurde mit den Reparationszahlungen der Franzosen finanziert. Das kann man heute noch an den Straßennamen ablesen. In Wörth im Elsaß hatte 1870 eine Schlacht stattgefunden. An einem einzigen Tag starben dort 18.000 deutsche und französische Männer, das deutsche Militär gewann die Schlacht. Die Hartmannstraße erinnert an General Jakob von Hartmann, die Werderstraße an das gleichnamige Hinterladergewehr, das erste mit Metallpatronen“. Im Hochfeld berichtete Edgar Mathe vom dritten Infanterie-Regiment „Prinz Karl von Bayern“. „Das bayerische Militär hat geschätzt 186 Kriege geführt und davon gefühlt 185 verloren", so Mathe. Das habe die Bayern jedoch nicht davon abgehalten in Augsburg im Pavillon des Prinz-Karl-Kaserne einen überlebensgroßen bayerischen bronzenen Löwen aufzustellen. Dem bayerischen unüberwindbaren Selbstbewusstsein entsprechend schmiege der bayerisch Löwe übrigens nicht den Schweif an den Körper, wie es etwa der Braunschweiger Löwe tue. Dies sei deswegen so, damit "die Preißn ihn besser am Arsch lecken“ könnten, erzählte Mathe. Von Lechhausen führte früher eine Fußgängerbrücke, der sogenannte Lechsteg, zur MAN. "Täglich liefen 3000 Arbeiter über die Brücke, und wenn sich Früh- und Spätschicht hier trafen, war hier mehr los als auf dem Kö!“, so Mathe. Auch Kommunisten im Hettenbachviertel, Bürger in der Lutzstraße, der erste Luftkriegstote am Kraftwerk am Senkelbach oder die Lokomotiven im Rundhaus Europa im Bahnpark: man lernte viel bei dieser unterhaltsamen Reise in Augsburgs Geschichte. "Ich bin immer wieder beeindruckt von dem reichen Geschichts- und Geschichtenfundus von Edgar Mathe", sagte die Vorsitzende der SPD Lechhausen, Angelika Lonnemann. Buchhändler Kurt Idrizovic sagte „Ich freue mich, dass unsere Localbahnfahrt, die wir schon seit über 30 Jahren anbieten, nach wie vor auf so großes Interesse unter den Augsburgern trifft“.