Ungläubige Blicke, gegenseitiges Anstupsen, fröhliches Winken: so reagierten viele Augsburger, die auf den Gleisen der Localbahn einen Personenzug fahren sahen. Normalerweise fahren auf den Localbahngleisen ausschließlich Güterwagen, die von Unternehmen auf die Gleise der Bahn transportiert werden. Die SPD Lechhausen und die Buchhandlung am Obstmarkt hatten die Fahrt quer durch die ganze Stadt, über Kanäle, durch Wohngebiete und private Firmengrundstücke organisiert.
Aufgrund sehr großer Nachfrage wurde die Fahrt zwei Mal durchgeführt, einmal vormittags und einmal nachmittags. Insgesamt sind rund 600 interessierte Passagiere mitgefahren. Edgar Mathe, ehemals Chef der Augsburger Wohnungsbaugesellschaft, war der höchst unterhaltsame Zugbegleiter, der über die Lautsprecher in den Waggons die Fahrgäste auf ihre Umgebung hinwies und viele Geschichten über die Industrie, die Menschen und die Stadt zu erzählen hatte.
Die dreistündige Fahrt begann und endete am Hauptbahnhof, führte durch das Hochfeld, das Textilviertel und am Lech entlang. Mit Blick auf das gegenüberliegende Lechhausen erzählte Mathe, dass dort kurz vor der Eingemeindung 1913 die höchste Säuglingssterblichkeit im ganzen Kaiserreich geherrscht habe, weil es dort keine Kanalisation gab. "1913 war Augsburg durch die Eingemeindung Lechhausens mit 13.000 Einwohnern auf einen Schlag doppelt so groß. Während es in Augsburg längst eine Kanalisation gab, hatten die Lechhauser immerhin schon Strom - anders als die Augsburger". Über das Grundstück von MT Aerospace ging die Fahrt weiter. Die sechs Waggons der Bayerischen Regiobahn überquerten Proviantbach, Stadtbach und Senkelbach und machte dann am Riedinger Kraftwerk die erste Station. Bereits 1865 wurde hier Energie aus dem fließenden Wasser gewonnen. Bis heute wird hier Strom produziert, es leistet rund 800 Kilowatt bei einem Gefälle von 6.4 Metern. Es dauerte eine Weile, bis die Fahrgäste alle einen Blick in den Generatorensaal werfen konnten, wo man die mannshohen Generatorenräder bestaunte. Anschließend führte die Fahrt am Plärrer und Pfersee vorbei. "Hier an der Adlhochschule starteten 1914 die Züge mit jubelnden jungen Augsburgern, die in den Krieg zogen und glaubten, an Weihnachten sei der Krieg gegen England, Frankreich oder Serbien vorbei", berichtete Edgar Mathe. 1944 sei die Schule dann zum Lazarett geworden, weil die Krankenhäuser die vielen Verletzten der Bombenangriffe und der verletzten Soldaten nicht mehr aufnehmen konnte.
Bei der Fahrt durch das vornehme Bismarckviertel berichtete Mathe, dass dieses nur hatte gebaut werden können, weil die Franzosen nach dem Krieg 1870/71 so hohe Reparationszahlungen an Deutschland leisteten. Letzter Ausstieg für die große Gruppe war dann am Bahnpark Augsburg, wo Bahnpark-Chef Markus Hehl die historische Wasserversorgung für die Dampflokomotiven erläuterte. 1906 hatten die Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen ein komplexes System der Wasserversorgung, das bis heute erhalten blieb, entwickelt. Dazu gehören zwei Tiefbrunnen mit einer Tiefe knapp 180 Metern, das denkmalgeschützte Wasserhaus mit den Anlagen der Wasseraufbereitung sowie ein Wasserkran, der über das Einfüllloch der Lokomotive geschwenkt wird. Angelika Lonnemann, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins und Kurt Idrizovic, der Inhaber der Buchhandlung am Obstmarkt, zeigten sich am Ende des Tages sehr zufrieden. "Das war ein unvergesslicher Tag heute", sagte Idrizovic. "Landschaft, Architektur, Eisenbahn-Romantik und Wassertechnik fanden sich zu einem großen Gesamtkunstwerk zusammen. Der Reiseleiter Edgar Mathe hat Übermenschliches an unterhaltsamer Informationsvermittlung geleistet". Lonnemann sagte: "Augsburg hat einen riesigen Schatz an Zeugnissen aus allen Epochen seit der Römerzeit. Es ist sehr wichtig, dass die Industrie- und Arbeitergeschichte unserer Stadt immer wieder ins Bewusstsein geholt wird. Ich freue mich, dass unsere Veranstaltung auf so viel Interesse gestoßen ist“.